Auf der Suche nach der natürlichen Resistenz.
von Thomas Gubler – in der Basler Zeitung vom 27. Februar 2021.

Man würde dem 62-jährigen Valentin Blattner nicht gerecht, wenn man ihn einfach als Weinbauern und Rebzüchter bezeichnen würde. Obschon er eigentlich genau das ist: Er betreibt Weinbau auf seinem Gut Domaine Blattner im jurassischen Soyhières und züchtet Reben. Aber eben nicht nur. Blattner hat im Rebbau neue Wege beschritten, weil er die alten Pfade für ausgefahren, ja gefährlich hielt. So züchtet er seit rund 35 Jahren pilzwiderstandsfähige sogenannte Piwi-Rebsorten. Und das ziemlich erfolgreich; wer heute einen Sauvignon Soyhières, einen Cabernet Jura oder einen Cabernet Blanc trinkt, geniesst einen Zuchterfolg von Valentin Blattner.
Am Anfang war die Lebenskrise
Zwei Grundsätze haben in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts den jungen Agrotechniker dazu gebracht, diesen Weg zu beschreiten: «Wenn du etwas schlecht findest, mach es besser» und «Man muss in der Landwirtschaft arbeiten, ohne etwas kaputt zu machen; deshalb müssen wir die Resistenz zurück in die Pflanze bringen.» Doch am Anfang stand bei Blattner erst einmal eine handfeste Lebenskrise. Valentin Blattner, Sohn eines Biologielehrers, erlernte den Biolandbau beim mittlerweile legendären Bio-Altmeister Otto (Otti) Buess im Ebenrain in Sissach. Anschliessend liess er sich am Basler Tropeninstitut zum Tropenagrotechniker ausbilden. Für einen Schweizer Agrochemiekonzern arbeitete er anschliessend in Afrika, «bis ich das einfach nicht mehr aushielt», wie er heute sagt. Stolz auf seine damalige Tätigkeit ist er jedenfalls nicht. Seine klar zum Ausdruck gebrachten Vorbehalte gegen die Praktiken der Agrochemie in Afrika führten indessen nicht zu einer Änderung derselben, sondern zu seinem Abgang. Unter diesen Umständen aber einen neuen Job in der Branche zu finden, war nahezu aussichtslos. «Also musste ich es anders und besser machen», sagt Blattner. Mit finanzieller Unterstützung seiner Eltern, einer Art Defizitgarantie, wie er schmunzelnd erklärt, begann er 1985 mit der Erforschung und Züchtung von Piwi-Rebsorten und gründete 1986 das Blattner Forschungsinstitut für Ökologie und Rebenzüchtung in Reinach. Denn für Valentin Blattner lief nicht nur in Afrika vieles schief, sondern auch in der Schweizer Landwirtschaft. Dass das Bundesamt für Landwirtschaft praktisch ausschliesslich auf die Sorten Blauburgunder, Chasselas, Riesling x Sylvaner und Gamay setzte und sogenannte Hybride-Kreuzungen verschiedener Rebsorten verbot, hielt er schlicht für «Säich». Noch heute kann er sich darob ereifern. Denn all diese herkömmlichen Sorten benötigen ein hohes Mass an chemischem Pflanzenschutz. Er aber wollte widerstandsfähige Reben züchten und Weine anbauen mit Eigenheiten und «Wiedererkennungswert». Mit dem Segen des damaligen Baselbieter Rebbaukommissärs kreuzte Blattner dann verschiedene Rebsorten, erzeugte Hybride und suchte nach Genen, die die Pflanze widerstandsfähig machten. Und zwar so, dass die neue Sorte immer gleich mehrere Resistenzgene aufwies, «denn ein Pilz ist nicht so blöd, als dass er nicht eine einzelne Hürde überwinden könnte».
«Mit der Natur gibt es keine Diskussion»
Beim Bund beurteilte man seine Tätigkeit jedoch als illegal und versuchte, ihm mit Bussen in astronomischer Höhe – eine belief sich auf über 300’000 Franken – das Handwerk zu legen. Nur: Wie sollte man jemanden drakonisch bestrafen, der mit dem Einverständnis des örtlichen Rebbaukommissärs handelt, und das erst noch ohne genügende rechtliche Grundlage der Busse? Als dann in den Neunzigerjahren ein neuer Rebbaubeschluss erlassen wurde, setzten langsam eine gewisse Liberalisierung und auch ein Umdenken im Rebbau ein. Aber noch immer begegnet man den Piwi-Trauben mit Skepsis «und redet die Hybriden schlecht», wie Blattner sagt. Es sollte jedenfalls noch eine Weile dauern, bis ihnen die verdiente Anerkennung zuteil wurde. Aber Bio-Weine erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. Und Blauburgunder-Trauben liessen sich nun mal nicht wirklich biologisch, das heisst auch ohne Kupfereinsatz produzieren. Und dann erwiesen sich die Piwi-Reben nicht nur als pilz-, sondern auch noch als frostresistenter als die klassischen Sorten. Das zeigte sich vor allem im Frühling 2017, als aufgrund des Frühjahrsfrosts um den 20. April bei Letzteren gigantische Schäden entstanden, die Piwis aber aufgrund des fruchtbaren Wiederaustriebs immer noch Erträge von bis zu 70 Prozent brachten. Und weil sich die Frühjahrsfröste seither häufen, sind inzwischen eben auch frostresistente Reben gefragt. «Mit der Natur gibt es keine Diskussion. Die ist diktatorisch. Also müssen wir Zuchtziele mit den entsprechenden Resistenzen festlegen», sagt Valentin Blattner, der inzwischen Rebzuchtprogramme in zahl-reichen Ländern wie Spanien, Deutschland, Kanada und Thailand durchführt. Nicht ohne Stolz erklärt er deshalb, dass er auf diese Weise über die grösste Forschungsanstalt der Welt verfüge.
Sauvignon Soyhières zum Staatswein 2018 gekürt
Wie gut Blattners Züchtungen inzwischen auch beim Publikum ankommen, zeigt der Erfolg des Ormalinger Winzers Claude Chiquet. Sein Sauvignon Soyhières wurde 2018 in der Kategorie «weisse Spezialitäten» zum Staatswein gekürt. Apropos Soyhières, wo sich Blattners Stammhaus befindet: Das Gebiet zwischen Laufen und Delsberg gilt ja nicht unbedingt als bevorzugte Reblage, und gleichwohl hat sich Valentin Blattner dorthin zurückgezogen. «Der Kanton Jura war damals ein neuer Kanton, ohne Weinbau, dafür mit Kulturland zu erschwinglichen Preisen», nennt er den Hauptgrund seiner Wahl. Und so fand der Pionier im Pionierkanton eine neue Heimat.
Valentin Blattner ist Mitglied des Verbandes der Weinproduzenten Region Basel/Solothurn – trotz seines selbstgewählten «Exils» im angrenzeden Kanton Jura. Seine Tochter Olivia ist auf einem Weingut im Baselbiet in Ausbildung. (Red.)